Archiv für Juni 2008

EM KOLUMNE 2008 (3) – Scholl – der große Gewinner

Samstag, 14. Juni 2008

( erschienen jeweils in 10 deutschen Tageszeitungen )

Hoppla, auch ZDF- Mann Wolf- Dieter Poschmann kann’s. Und wie! Thomas Wark mit angenehmer Stimme und perfektem Deutsch und Bela Rethy ,wenngleich sprachlich gerne etwas sonderbar, sowieso. Aber dass der sonst oft langatmige Poschmann, mitgerissen von drei spannenden Spielen, plötzlich die einfache Sprache des Fußballs hörbar und glaubhaft lebt , gehört für mich zu den schönsten Überraschungen dieser Europameisterschaft. Bravo!
Aber auch die beiden ARD Männer Steffen Simon und Tom Bartels haben ihre Sache wirklich gut gemacht. Spritzig, mutig und fachlich fundiert überzeugte dabei vor allem Steffen Simon z.B. bei einer weiteren für mich persönlich völlig abseitigen Abseitsregel-Auslegung .Respekt!
Natürlich kann man bei jedem Kollegen wie bei jedem EM-Spieler immer auch Fehler oder Eigentümlichkeiten finden, vor allem dann, wenn man sie krampfhaft sucht. Für mich ist daher nur entscheidend: Hat der Reporter bzw. Kommentator eine eigene, unverwechselbare und vor allem glaubwürdige Art und klingt seine oder ihre Stimme angenehm..? Alles andere ist weitgehend Geschmackssache und zudem abhängig vom jeweiligen Spiel und der Tagesform aller Beteiligten. Dennoch: wir eher steifen Germanen könnten uns gerade beim Fernsehen einiges von den fabelhaften, eingespielten Duos der englischen oder italienischen Kollegen abschauen
Nun aber zum Besten: der erfrischend unkomplizierte Fußballfachmann Mehmet Scholl. Mehr Ehrlichkeit und ansteckende Begeisterung in den funkelnden Augen geht gar nicht. Er ist für mich jetzt schon der große Gewinner und neue Hoffnungsträger für die ARD. Ein Genuss für jeden Fußballfan ! Auch Jürgen Klopp als ZDF-Experte war wie immer großartig spontan -und das obwohl er sich gegen den TV- Rundumverköstiger Kerner durchbeißen musste.
Eine Zumutung für jeden Gebühren Zahler sind jedoch die dressierten Nachher -Quatschmacher, die mit Unterstützung von Klatschvieh unsere Nerven strapazieren und mit infantilem Gealbere (ZDF) oder klebrigen Altherrenwitzchen (ARD) dem Fußballsport schaden.

EM KOLUMNE 2008 (2) – Als Bettler unter Millionären

Montag, 09. Juni 2008

( erschienen jeweils in 10 deutschen Tageszeitungen )

Alle rennen, beobachten, warten, tricksen, jagen. 368 EM-Spieler jagen die neuen EM-Werbebälle. Zigtausend EM-Journalisten jagen mit umhängendem Jagdschein nach jedem noch so absurden Gerücht, möglichst exklusiven Interviews und vor allem nach Spielern, die etwas sagen und zu sagen haben.

Nach den Spielen muss jeder mit möglichst gutem Stellungsspiel und notfalls auch mal Ellbogeneinsatz versuchen auf geschickten Laufwegen schnell in die Gemischt-Zone zu kommen, um von Großverdienern Antworten zu erbetteln. Wer sich eine

kritische Frage glaubt leisten zu können, weil er nicht mit dem langweiligen Einheitsgesülze konform gehen will, der lebt dann u.U. gefährlich und einsam.

In den 70- er und 80 -er Jahren war Sportjournalist zu sein noch ein Traumberuf. Jeder Spieler blieb bereitwillig vor dem einen oder auch mal drei bis fünf Reportern stehen. Heutzutage aber wimmelt es förmlich von zahllosen zugelassenen („akkreditierten“) unter enormem Zeitdruck stehenden O-Ton-Bettlern. Unabhängige, intelligente Journalisten kämpfen einen harten Kampf. Zumal versierte Kick-Millionäre und Offizielle diese Konkurrenzsituation der Medien ausnutzen, indem sie genau überlegen, ob sie die Gnade haben, kurz stehen zu bleiben um eher gelangweilt ein paar vorgestanzte Worte von sich zu geben. Unbequeme Fragesteller werden da schon mal schnell mit einem bösen Blick oder einem verständnislosen Kopfschütteln abgestraft oder einfach stehen gelassen.

Eine meiner Aufgaben in den nächsten Wochen wird es sein, für Sie einige der in meinen Augen und Ohren erfrischend kritisch und spontan gebliebenen Kolleginnen und Kollegen zu beobachten. Jene, die nicht im verführerischen Hauptstrom mitschwimmen. Jene, die nicht einfach nachschreiben oder nachlabern, sondern mit guter, wohltuender Stimme und verständlicher Sprache eine eigene Meinung haben und diese auch sagen bzw. schreiben.

EM KOLUMNE 2008 (1) – ALLES KLEBER, oder was?

Donnerstag, 05. Juni 2008

( erschienen jeweils in 10 deutschen Tageszeitungen )

Der Ball klebt- am Fuß. Der Spieler klebt – am Gegner. Die Kinder kleben -Spieler-Bildchen. In zwei Tagen rollt er also wieder, unser aller Verrücktmacher, unser Häuptling, der Ball. Die Millionarios in nationaler-Dienstkleidung werden diese glatte Kunststoffkugel verfluchen und küssen, streicheln und treten. Manchem Ballbehandler klebt jener ja förmlich am Fuß ,alias Klebe, um dann ansatzlos durch die Lücke in der Abwehrkette des Gegner millimetergenau und torbringend dem Mitspieler aufgelegt zu werden.
 
Doch schon seit Wochen hat ein Spieler Hochkonjunktur, der in keinem einzigen EM-Sonderheft mit so klangvollen Namen wie Christiano Ronaldo, Fabio Grosso, Joachim Standfest, Mariusz Lewandowski, Tranquillo Barnetta und Franck Ribery vorkommt: Dieser teuerste Spieler aller Seiten und Zeiten beschäftigt vor allem Kinder, den Geldbeutel ihrer Erzeuger und ungezählte kindgebliebene Fußballverrückte. Er reißt sie schon seit langem zu Wutausbrüchen, Begeisterungsjubel ,Tränen und bangen Fragen hin:“ Wann kommt endlich das heiß ersehnte fehlende Bildchen mit Ballack oder mit Ibrahimovic oder mit Luca Toni aus der nächsten voller Hast und Begier aufgerissenen Papierlücke aus der teuren Wundertüte? Was? Schon wieder nix!“ Und dann der entsetzte Aufschrei wie nach einem verschossenen Elfmeter: “Wieder nix mit Panini!“.
 
Statt dessen schlüpfen andere Bildchen immer und immer wieder aus den Tütchen und sogar solche, die überhaupt kein Sammler brauchen kann, weil jene lächelnden Herren kurz vor der EM als zu gut, zu blond, zu eigensinnig, zu jung, zu alt aussortiert wurden. Der arme Bildchen-Sammler ist schon vor dem ersten Anstoß der Verzweiflung nahe und kauft und kauft und tauscht und tauscht und rennt und drückt und erpresst und bettelt und -verliert sowieso. Das wird während der EM so weitergehen und danach auch noch.
Meinen Geheim-Favoriten verrate ich heute schon mal : Portugal – wie immer. Und meinen Geheim-Sieger, den kennen Sie jetzt auch schon: Panini. Der spielt alle schwindelig –egal , wer Europameister wird.