EM KOLUMNE 2008 (2) – Als Bettler unter Millionären
( erschienen jeweils in 10 deutschen Tageszeitungen )
Alle rennen, beobachten, warten, tricksen, jagen. 368 EM-Spieler jagen die neuen EM-Werbebälle. Zigtausend EM-Journalisten jagen mit umhängendem Jagdschein nach jedem noch so absurden Gerücht, möglichst exklusiven Interviews und vor allem nach Spielern, die etwas sagen und zu sagen haben.
Nach den Spielen muss jeder mit möglichst gutem Stellungsspiel und notfalls auch mal Ellbogeneinsatz versuchen auf geschickten Laufwegen schnell in die Gemischt-Zone zu kommen, um von Großverdienern Antworten zu erbetteln. Wer sich eine
kritische Frage glaubt leisten zu können, weil er nicht mit dem langweiligen Einheitsgesülze konform gehen will, der lebt dann u.U. gefährlich und einsam.
In den 70- er und 80 -er Jahren war Sportjournalist zu sein noch ein Traumberuf. Jeder Spieler blieb bereitwillig vor dem einen oder auch mal drei bis fünf Reportern stehen. Heutzutage aber wimmelt es förmlich von zahllosen zugelassenen („akkreditierten“) unter enormem Zeitdruck stehenden O-Ton-Bettlern. Unabhängige, intelligente Journalisten kämpfen einen harten Kampf. Zumal versierte Kick-Millionäre und Offizielle diese Konkurrenzsituation der Medien ausnutzen, indem sie genau überlegen, ob sie die Gnade haben, kurz stehen zu bleiben um eher gelangweilt ein paar vorgestanzte Worte von sich zu geben. Unbequeme Fragesteller werden da schon mal schnell mit einem bösen Blick oder einem verständnislosen Kopfschütteln abgestraft oder einfach stehen gelassen.
Eine meiner Aufgaben in den nächsten Wochen wird es sein, für Sie einige der in meinen Augen und Ohren erfrischend kritisch und spontan gebliebenen Kolleginnen und Kollegen zu beobachten. Jene, die nicht im verführerischen Hauptstrom mitschwimmen. Jene, die nicht einfach nachschreiben oder nachlabern, sondern mit guter, wohltuender Stimme und verständlicher Sprache eine eigene Meinung haben und diese auch sagen bzw. schreiben.